Wir haben in unserer Gesellschaft eine Vorstellung von Männlichkeit konstruiert, die den Männern keine Sicherheit über ihre Männlichkeit gibt und sie deshalb glauben, sie immer wieder neu beweisen zu müssen.
Das ist auch der Grund, warum Männer in ihrer Peergroup das Verhalten anderer Männer genau beobachten, um ihr eigenes Verhalten anzupassen oder zu korrigieren. Und dabei ist Respekt sehr wichtig. Ein echter Mann besteht darauf, dass ihm Respekt entgegengebracht wird. Wenn er ihn nicht bekommt, muss er wie ein Mann reagieren: mit Stärke und vor allem mit unmissverständlichem Nachdruck. Auf diese Weise wird Respekt für viele Männer automatisch mit Gewalt in Verbindung gebracht, vor allem wenn es sich um junge Männer handelt.
Das Tragische daran ist, dass sie dadurch verpassen, was sie eigentlich bräuchten: Nähe und Kontakt.
Stattdessen bauen sie Masken auf, mit denen sie sich den Gleichaltrigen und unserer Kultur anpassen. Was sich hinter der Maske verbirgt, bleibt verborgen, und das ist der Preis, den sie für ihre Männlichkeit zahlen: ihre eigenen Gefühle.
Diese Masken fressen Empathie und Fühlen auf, fördern Einsamkeit, Frust und schlussendlich Gewalt. Ein Mann antwortet selbstständig und mit Kraft. Denn Männer dürfen keine Emotionen zeigen, ausgenommen natürlich die Wut....
Nie habe ich gelernt, mich selbst und mich als Mann kennen zu lernen. Vielmehr wurde mir als Mann gesagt, wie Männer, der ich nun mal bin ob es mir passt oder nicht, sind. Und welcher Massstab wurde angewandt, um mich als Mann zu definieren?
Ja, genau, die Frauen.
Ich bin dann Mann, wenn ich auf keiner möglichen Ebene mit einer Frau vergleichbar bin. Eigentlich bin ich dann ein Mann, wenn ich mich klar von Frau abgrenze.
Männer sind stark, dominant, mutig, zielstrebig, klar, beschützend, kein Schmerz, keine Emotionen außer Wut, vor allem keine Angst, einfühlsame Liebhaber, erfolgreich im Geschäft, hart, wenn es sein muss, nachsichtig, wenn es sein muss, finden eigene Lösungen, lassen niemanden im Stich, weder in der Ausbildung noch im Geschäft, verlassen nie ihre Familie oder ihre Frau, selbst wenn die Beziehung unrettbar am Ende ist. Und vor allem: Männer haben das Sagen. Okay, das muss ich korrigieren: Richtige, starke Männer haben das Sagen.
Richtige Männer führen, also folgen die Frauen. Dann ist doch alles gut, oder?
Die Art und Weise, wie diese Definition in das männliche Wesen eingedrungen ist, lässt nur einen Schluss zu: Frauen sind all oben aufgeführte nicht. Frauen sind also schwach, und Schwäche ist aus männlicher Sicht minderwertig.
Tony Porter bringt es in seinem Beitrag über Ted X auf den Punkt, wenn er erzählt, wie er einmal einen jungen Fußballspieler nach dem Training fragte: "Was wäre das Schlimmste, was dein Trainer zu dir sagen könnte?" Der Junge antwortete: "Wenn er sagen würde, dass ich wie ein Mädchen spiele". "Und was würde das mit dir machen?" fragte Porter weiter. Er nahm an, der Junge würde so etwas sagen wie: " Das würde mich beleidigen" oder "beschämen."
Aber der Junge sagte: "Es würde mich zerstören."
Ist es das, was wir unseren Jungen und späteren Männern über Frauen beibringen?
Und ist es das, was wir unseren Jungen und Männern über Männlichkeit beibringen?
Wir Männer müssen uns erst wieder als Männer finden.
Und wir müssen das tun, was die Frauen seit über 50 Jahren tun: sich von den Männern und ihren gesellschaftlichen Regeln emanzipieren und auf der Straße für ihre Rechte kämpfen. Auch heute noch.
Es ist an der Zeit, dass auch wir Männer aufstehen und auf die Straße gehen, um uns von unseren eigenen gesellschaftlichen Regeln zu befreien. Dass jeder das Recht hat, seine eigene Männlichkeit zu finden, indem er so ist, wie er ist, ohne dass er andere Sichtweisen oder Narrative übernehmen muss. Und es ist an der Zeit, dass Männer vor allem Menschen sein dürfen, um dann darin ihre Männlichkeit zu entdecken und zu gestalten.
Es ist wirklich Zeit. Nicht dass all die obigen Gründe zu Suizid führen. Aber schlussendlich haben sie damit zu tun.
2017 haben sich in der Schweiz 773 Männer das Leben genommen, im gleichen Zeitraum waren es 270 Frauen. (Quelle: www.srf.ch/news/schweiz/viel-mehr-maenner-als-frauen-darum-ist-die-suizidrate-vom-geschlecht-abhaengig)
Genau sehr auf dem Punkt gebracht was ich auch schon länger denke! Für den Maskulinismus einstehen um gleichzeitig auch wirklich und wahrlich für den Feminismus einzustehen - miteinander und nicht gegeneinander!
Sehr guter und einleuchtender Beitrag - das macht was mit mir🌸
Danke, Roger! SEhr treffend!