Gestern im Satsang gab es unter anderem ein großes Thema: die Homophobie der Männer, vor allem in tantrischen Tempeln und sexpositiven Räumen. Sehr viele Männer schreiben uns an und fragen, ob eine Veranstaltung oder ein Seminar, das wir demnächst machen, auch geschlechterbalanciert ist, weil sie bei einem Männerüberschuss eher nicht dabei sein wollen.
Und ich frage mich: Was sagt das über die Männer aus? Ich frage mich das, weil ich immer wieder erlebe, dass Gruppen mit Frauenüberschuss einfach fliessen und viele Frauen sich freuen, mit anderen Frauen in Übungen einzutauchen, auch wenn sie intimer sein können. Im Gegensatz dazu werden Gruppen mit einem Männerüberschuss eher anstrengend und kantig, weil die Männer eher nicht gemeinsam in eine Übung gehen wollen, schon gar nicht, wenn es auch um Körperlichkeit geht.
Aus der Geschichte weiss ich, dass die Art von Homophobie, die uns heute noch beeinflusst, in der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstand und sich dann im Dritten Reich Hitler-Deutschlands definitiv und vehement verfestigt hat. Vor dem 1. Weltkrieg gab es diese Homophobie, wie wir sie heute kennen, nicht.
Aus authentischen Zeitdokumenten wie Zeitungsartikeln, Briefen und Literatur wissen wir, dass Männer untereinander enge, emotionale und auch intime Freundschaften und Beziehungen pflegten. Weiter zurück in der Menschheitsgeschichte gab es immer wieder Phasen, in denen Homosexualität entweder akzeptiert, kein Thema oder verboten war. Heute ist sie in unserer Gesellschaft zwar nicht verboten, aber stark mit negativen Konnotationen und Projektionen behaftet. Wir haben uns mit großer Leidenschaft der Suche nach wahrer Männlichkeit und Weiblichkeit verschrieben und lassen da kaum noch Spielraum. Schon gar nicht in der Welt der Männlichkeit. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass der Druck auf Männer, männlich zu sein, sogar zugenommen hat.
Es ist schon fast komisch, wenn der Staat sagt: "Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich", während die Realität der Meinungen auf der Straße dieser Aussage nicht folgt.
Ein Symptom dieser Homophobie ist, dass ein Mann nur mit einer Frau zusammen sein kann, weil er sich von einem Mann fernhalten soll oder sogar muss. Viele Männer erklären mir dann, dass sie einfach viel lieber mit einer Frau z.B. eine Übung machen als mit einem Mann. Einen genauen, plausiblen Grund können sie aber nicht nennen, außer: «...es liegt in der Natur der Sache, dass Männer sich nicht zu Männern hingezogen fühlen» oder «ich bin mit einer Frau einfach entspannter als mit einem Mann...»
Sich als Mann unter Männern nicht wohl fühlen? Was sagt das über das Mannsein aus?Und was, bitte schön, kann eine Frau einem Mann geben, was er nicht in sich selbst finden und sich selbst geben kann?
Das ist der Moment, in dem die Frau sich vom Mann überfordert fühlt und sich zurückzieht. Sie ist also nicht einfach beziehungsunfähig, sondern sie spürt, dass sie das, was von ihr verlangt wird, nicht geben kann, weil sie es einfach nicht hat:
Männliche Wurzeln.
Und wo findet ein Mann seine männlichen Wurzeln?
Nein, nicht beim Vater. Oder in Vorbildern. Oder in Regeln, die mit «das war schon immer so» oder «so ist die Natur» begründet werden.
Nein, Männer entstehen und entwickeln sich, indem sie Väter und Vorbilder haben und Regeln lernen, die es ihnen ermöglichen, sich in sich selbst zu entdecken, zu erforschen und zu verwirklichen. So wie eine Eiche mit all ihrer beeindruckenden Größe und ihrem Gewicht sich aus dem entwickelt, was in ihrem winzigen Samenkorn angelegt ist. Der ganze fertige Baum ist schon im Samen vorhanden. So ist auch der Mensch als Mensch schon in sich vorhanden. Und seine Kraft kann sich nur aus dem entwickeln, was in ihm ist, in der Liebe, im Konflikt, im Widerstand und in der Hingabe. Es geht also vielmehr um die Seele und das Herz, das sind die Essenzen der Männlichkeit, der Weiblichkeit und Menschlichkeit.
Ich wünsche mir Menschen, die gelernt haben und erfahren durften, dass sie sich selbst völlig genügen. Wenn wir uns alle in unserer Kraft begegnen, wir uns wirklich so zeigen wie wir sind und nicht wie es von uns erwartet wird, dann geschieht gleichsam gegenseitiges nähren, heilen und lieben ohne Anstrengung, ohne Aushalten, ohne Frustration.
Danke fürs Lesen.
Lieber Roger
DANKE. EIN SEHR GROSSES DANKE FÜR DIESEN WERTVOLLEN TEXT. IN DEINEN WORTEN ERHEBT SICH ETWAS ÜBER DIESE EWIGEN NONSENSE DISKUSSIONEN MÄNNLICH- Weiblich hinaus. du beschreibst hier genau das, was ich jeweils fühle, wenn dieses "etwas aus mir herausreissen-wollen" vom mann her auf mich zurollt. Genau so. Ja. Ein ekel breitet sich dann jeweils aus. Habe bis jetzt in solchen Situationen gedacht, er wolle einfach sex, und gut wär.
Du benennst jetzt darin jedoch die Männlichkeit, die er da in der frau finden will. Interessant! Sehr erhellender ansatz! Damit lässt sich etwas fassen und machen, das geht endlich über eine bisherige ohnmachtsgrenze und ein ewig ödes im kreisdrehen hinaus.
Hey, du kreierst jetzt aber grad ein sehr schönes feld,…
Sehr wertvoller Beitrag - danke Roger - immer wieder höre ich indem Zusamnenhang: „ich bin ja nicht schwul“, und immer wieder friert es mich innerlich dabei.
Könnten wir uns doch endlich „einfach“ als Menschen sehen die Erfahrungen machen und liebend sind!
Und wären wir bereit, unsere Herr und Frau Bünzlis (unsere inneren Kritiker) einfach in dir Ferien zu schicken… Hallelujah